09.11.2018 | AG Frieden

Gedenken mit aktuellen Bezügen – Mahngang gegen Antisemitismus & Rassismus fand großen Zuspruch

Die Jüdische Kultusgemeinde Trier und die Arbeitsgemeinschaft Frieden e.V. (AGF) waren am Freitag, dem 9.11. die Veranstalter eines „Mahngangs gegen Antisemitismus und Rassismus“. Mehr als 360 Menschen folgten der Route von der Porta Nigra bis zum Kaufhaus Sinn-Leffers. Anlass war der 80. Jahrestag des Novemberpogroms gegen Juden, der in Trier in den Morgenstunden des 10. November 1938 stattgefunden hatte.

„Reichskristallnacht“ als Auftakt zum Holocaust

In seiner Begrüßung erinnerte Markus Pflüger (AGF) daran, dass diesen Verbrechen systematische Hetze und Diffamierungen der jüdischen Minderheit durch die Nationalsozialisten vorangegangen waren. „Mit dem Novemberpogrom begann der Holocaust“, so Pflüger. Es sei der von den Nazis inszenierte Übergang von einer Politik der Aussonderung hin zu direkter Gewalt gewesen. Das Gedenken an diese Taten bleibe wichtig, weil es auch heute Bestrebungen, vor allem der Neuen Rechten gebe, gesellschaftliche Gruppen wie Geflüchtete, Juden, und Muslime auszugrenzen. Dem setze man ein öffentliches Statement für die Würde aller Menschen und für Menschenfreundlichkeit entgegen. Nach dieser Erklärung Pflügers übernahmen Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schule Gestaltung und Technik das Mikrofon. Sie hatten gemeinsam mit ihrem Lehrer Tobias Fontaine Texte gesammelt und verfasst, die die Geschehen dieser Tage illustrierten. Die Simeonstraße und die Porta Nigra seien durch Aufmärsche und Fahnenschmuck Objekte nationalsozialistischer Machtentfaltung gewesen. Hinter der Porta Nigra habe es aber in der Nazi-Zeit einen Kiosk des Zeitungsverkäufers Anton Faldey gegeben, der zum Trierer Treffpunkt für Kommunisten im Widerstand gegen das Regime geworden sei. Bei anhaltendem Nieselregen setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung. Auch am Marktkreuz beschrieben die Schüler Schlimmes und Mut-Machendes. So sei das Kaufhaus H&M in den ersten Jahren der NS-Diktatur Sitz der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gewesen, die Trierer Bürger bespitzelt und verfolgt hätten. Im Gasthaus „Goldener Brunnen“ in der oberen Dietrichstraße habe der SS-Mann Ambrosius in den Morgenstunden des 10. November 1938 seine Männer mit der Parole „Antreten zum Kälbertreiben“ auf die Trierer Juden gehetzt (Der TV berichtete darüberam 9.11.2018). Widerspruch sei in der Dietrichstraße aber auch vernehmbar gewesen: Der Pfarrer der kleinen evangelischen Beken­nenden Gemeinde, die sich im Warsberger Hof versammelte, habe am Sonntag nach dem Pogrom auf der Kanzel zu Solidarität mit den verfolgten Juden aufgerufen: „Auch sie sind unsere Brüder“, so Klaus Lohmann in seiner Predigt, die ihn prompt ein Verhör durch die Gestapo einbrachte. Die letzte Station des Mahngangs erreichten die Teilnehmer des Mahngangs vor dem Kaufhaus Sinn. Das Textilkaufhaus war damals im Besitz der jüdischen Familie Haas. Die Nazis fotografierten schon 1933 Triererinnen, die dort einkauften und drohten ihnen mit öffentlicher Anprangerung. Die beiden Eigentümer des Kaufhauses wurden ohne Gerichtsverfahren inhaftiert, die Ehefrau des einen erhängte sich in der Folge dieser Drangsalierung. Als positives Signal für die Verständigung der Religionen, diente den Schülern die Einlegearbeit „Engel der Kulturen“ auf der Kreuzung Fleischstraße/Fahrstraße vor dem Kaufhaus als Ausdruck der Toleranz und der gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam. Markus Pflüger beendete den Rundgang mit einem Dank an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, besonders aber an die Berufsschüler für ihre Gestaltung des Mahngangs. Jeanna Bakal, Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde, äußerte sich froh über die große Resonanz, die diese Gedenkveranstaltung insgesamt, aber insbesondere auch bei den Mitgliedern ihrer Gemeinde gefunden hatte.

Kranzniederlegung an der Stele der ehemaligen Synagoge

Viele Teilnehmer gingen im Anschluss an den Mahngang auch zur Stele, die auf dem kleinen Platz Ecke Metzelstraße/An der alten Synagoge an das von den Nazis geschändete und im Krieg zerstörte jüdische Bethaus erinnert. Dort legten Oberbürgermeister Wolfram Leibe und die Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde, Jeanna Bakal, Kränze nieder. Peter Szemere verlas das jüdische Trauergebet für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Gedenkveranstaltung der Stadt in den Viehmarktthermen

Danach fanden viele Triererinnen und Trierer noch den Weg in die Thermen am Viehmarkt, wo die Stadtverwaltung an die Pogromnacht in Trier erinnerte. Weitaus mehr Menschen waren gekommen als die Veranstalter erwartet hatten. Oberbürgermeister Leibe und Jeanna Bakal hielten dort zum Teil sehr persönlich gehaltene Reden. Zum Schluss lasen Schüler des Leistungskurses Gemeinschaftskunde der Berufsschule Gestaltung und Technik Texte von Elise Haas. Sie hatten ein Gedicht der Trierer Jüdin
ausgewählt und einen Auszug aus ihrem Brief vom Mai 1947 verlesen, der ihre Verschlep­pung von Trier in das Konzentrationslager Theresienstadt beschreibt.
Willi Körtels hatte diesen Brief erstmals veröffentlicht. Joachim Meyer-Ullmann (Klavier), Maria Melts (Mezzosopran) und Gleb Levin (Cello) gaben der Veranstaltung einen bewegenden Rahmen.

Thomas Zuche