04.04.2022 | AG Frieden

DER KRIEG ERNÄHRT DEN KRIEG. Für einen Waffenstillstand in der Ukraine

Rede zum AGF-Ratschlag, 3. April 2022 in der bischöflichen Cafeteria Trier von Ulrike und Rolf Winkler (AGF) „DER KRIEG ERNÄHRT DEN KRIEG. Für einen Waffenstillstand in der Ukraine“

I.
Zum zweiten Mal seit 1945 haben wir Krieg in Europa. Nach den Jugoslawienkriegen in den 1990er Jahren hat sich nun der schon lange schwelende Ukraine-Konflikt durch den russischen Überfall zu einem Flächenbrand entwickelt.
Obwohl es längst viele Anzeichen gab – Die Brutalität, das Ausmaß und die Skrupellosigkeit dieses Angriffskrieges machen uns alle fassungslos und erzeugen Gefühle der Ohnmacht, der Hilflosigkeit. Es ist gut zu sehen, wie sich Mitglieder der Friedensbewegung öffentlich gegen den Krieg positionieren und ihre Solidarität mit den Menschen in und aus der Ukraine zeigen. Und es ist gut zu sehen, dass wir uns darin zur Zeit mit so vielen Menschen – auch international – einig wissen. Es baut sich aber auch Wut auf und der Wunsch nach Vergeltung.
Für die traumatisierten, in ihrer ukrainischen Heimat lebensgefährlich bedrohten oder von dort
geflüchteten Menschen, die ihre Liebsten und ihr Zuhause verloren haben, ist dies mehr als verständlich. Aber auch bei uns, in Politik und Medien, ebenso im privaten Umfeld, werden plötzlich Positionen denk- und aussprechbar, die wir als Friedensbewegung stets abgelehnt haben. Waffenlieferungen und milliardenschwere Aufrüstung gelten plötzlich als selbstverständlich, die Beteiligung an
Flugverbotszonen wird erwogen. Es wird darüber diskutiert, ob die Ukraine sich verteidigen und vielleicht sogar den Krieg doch noch gewinnen könne, wenn sie noch mehr militärische Unterstützung erhält. Bei dem schnellen Wechsel von politischen Positionen verliert man leicht den Überblick.

II.
Wir stehen vor vielen Fragen, die uns in unseren alten Gewissheiten erschüttern und uns zwingen, unsere bisherigen Positionen zu diskutieren und zu überprüfen.
Als Friedensbewegung müssen wir uns zügig auf politische Antworten und Positionen verständigen. Zunächst stellt sich die Frage: War dieser Krieg zu verhindern?
Alle Schuldzuweisungen richten sich gegen den russischen Präsidenten. Seine maßgebliche Schuld am Ausbruch des Krieges kann niemand bestreiten. Aber hatte der Krieg nicht eine lange Vorgeschichte mit mehreren Beteiligten?

Für eine umfassende Analyse ist die Zeit hier sicher zu kurz. Deswegen möchte ich mich auf einige Fragen beschränken, die sich aus russischer Sicht gestellt haben dürften:
• Wieso kündigten die USA 2001 einseitig den ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen? • Wer musste sich durch die nachfolgende Errichtung des sogenannten Raketenabwehrschirms unweit der russischen Grenze bedroht sehen? • Warum wurde das Militärbündnis Nato trotz gegenteiliger Versprechen nach Osten hin 1 erweitert? • Warum sollte die militärische Neutralität der Ukraine aufgegeben werden? Welche falschen Hoffnungen wurden hier durch den Westen geweckt? • Warum wurde das Minsk 2-Abkommen – auch durch die Ukraine – nicht umgesetzt? • Wem diente die Aufrüstung der Nato im Osten?
• Hat man erwartet, Russland werde hinnehmen, was die USA in der Kuba-Krise 1962 nicht akzeptierten, nämlich eine als Missachtung seiner Sicherheitsinteressen empfundene militärische Aufrüstung vor der eigenen Haustür? Um es noch einmal klar zu sagen: All dies rechtfertigt in keiner Weise den russischen Angriffskrieg, der so viel Leid über so viele Menschen gebracht hat und weiter bringen wird. Hier gibt es nichts, aber auch gar nichts zu relativieren. Russland hat mit der Annexion der Krim und der militärischen Unterstützung der Separatisten im Osten, ebenso durch die Einführung neuer Waffensysteme, ganz maßgeblich zur Eskalation beigetragen. Friedenspolitisch ist es aber wichtig, die vielen spannungserzeugenden Schritte beider Seiten in den Blick zu nehmen. Dabei geht es nicht nur um die Schuldfrage, sondern – viel emotionsfreier – um die Klärung von Ursachen und Zusammenhängen. Wir müssen analysieren, wie es zu dieser verhängnisvollen Spirale der Konfrontation und Gewalt gekommen ist. Es wäre weltfremd, die Ursachen nur auf einer Seite zu suchen.

III.
Jetzt aber ist es das Wichtigste, wieder zu friedlicheren und stabileren Verhältnissen zu kommen.
Diese brauchen wir zuallererst für die unter dem Krieg leidenden Menschen in der Ukraine, wir brauchen sie aber auch, um die großen Menschheitsfragen, wie den Klimawandel, angehen zu können, und zwar national wie international. Worin besteht nun die Verantwortung der Friedensbewegung? Wofür werden wir gerade jetzt in besonderer Weise gebraucht? Eine besondere Herausforderung ist heute, dass wir in der Verantwortung stehen, unsere volle Solidarität mit den Kriegsopfern zu leben, uns zugleich aber eine gewisse gedankliche und auch emotionale Distanz bewahren müssen. Wir erinnern uns an unsere Antikriegs-Kundgebungen in Trier, gemeinsam abgehalten mit Menschen aus der Ukraine, die teilweise selbst gerade erst geflüchtet waren und Angst hatten um ihre in Lebensgefahr befindlichen Verwandten und Freunde in ihrer Heimat. Wem von uns ist es da nicht schwer gefallen, den Beifall zurückzuhalten, als Waffenlieferungen gefordert wurden, damit sich die Menschen im Kriegsgebiet wenigstens verteidigen können? Allerdings, unabhängig von unserer grundsätzlichen Ablehnung von Rüstungslieferungen: In der Ukraine wird in der Nähe von Atomkraftwerken gekämpft. Ist es nicht Wahnsinn, dorthin Waffen zu liefern? Wenn ein solches Kraftwerk getroffen würde – absichtlich oder aus Versehen und gleich von welcher Seite – was würde das für die Menschen in der Ukraine bedeuten? Was für die Anrainerstaaten? Und ist es denn nicht noch immer so, dass mehr Waffen in aller Regel eben doch nur mehr Menschenleben fordern? Der Krieg ernährt den Krieg.

Wir haben das Privileg, nicht unmittelbar von diesem Krieg betroffen zu sein. Wir sind keine Opfer.
Deshalb steht es uns nicht zu, über die traumatisierten Menschen in und aus der Ukraine zu urteilen, wenn sie in ihrer Verzweiflung Waffen fordern.
Wir müssen aber auch bedenken: Opfer finden nur selten alleine aus dem ihnen zugefügten Trauma. Hass, der Wunsch nach Vergeltung und nach Vernichtung des Angreifers, ist in ihrer Situation nicht weniger als menschlich. Die Verantwortung dafür, einen Weg aus dem Inferno dieses furchtbaren Krieges zu finden, kann man nicht den Kriegsopfern abverlangen. Das ist ganz klar und eindeutig unsere Verantwortung – als nicht unmittelbar an den Kriegshandlungen beteiligtes Nachbarland, als Zivilgesellschaft und besonders als Friedensbewegung. Ebenso bleibt es unsere Aufgabe, jeder Drohung und Anwendung militärischer Gewalt, von wem auch immer, entgegen zu treten. Ganz besonders muss uns aber aktuell die sehr reale Gefahr eines Atomkrieges sorgen. Am 22. März 2022 wurde Florence Gaub in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ zur Atomkriegsgefahr befragt. Sie ist Analystin am Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien, das – laut Wikipedia – „eng mit Personen aus der Rüstungsindustrie“ zusammenarbeitet. Frau Gaub konnte bei Lanz u.a. unwidersprochen ausführen, dass „nicht die Bombe die Waffe“ sei, sondern „die Angst vor der Bombe“. Und dieses Gefühl der Bedrohung sei genau das, was Putin erreichen wolle, so Frau Gaub weiter, die zugleich die Gefahr und die Folgen eines möglichen atomaren Krieges relativierte: „Ich will den Leuten die Angst nehmen, dass wir in einem riesigen atomaren Krieg sterben werden.“ Wenn überhaupt, so Frau Gaub, die offenbar hellsehen kann, würde Putin taktische Atomwaffen einsetzen, die sich maximal gegen einzelne Stadtbezirke richten würden. Betreibt also, wer vor der Gefahr eines Atomkrieges und vor den furchtbaren Folgen für die Ukraine, Europa und die Welt warnt, am Ende das Geschäft Putins? Und mit dieser Frage leite ich zu Karl-Wilhelm Koch über, der sich in der Eifel, nahe Bücheln, schon lange in der Bewegung für atomare Abrüstung engagiert. Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit.