11.01.2022 | AG Frieden

Interview mit Markus Pflüger, seit 20 Jahren Referent für Friedensarbeit

Seit 20 Jahren ist Markus Pflüger „das“ Gesicht der AG Frieden. Wie kommt ein studierter Geograf zur AGF? Wie hat sich die Friedensbewegung (in Trier) in diesen zwanzig Jahren verändert… und was war die Rolle der AGF dabei? Was waren Erfolge, Niederlage und Herausforderungen? Diese und andere Fragen stellten Ariane Gliesche, Inga Kulms und Thomas Zuche

AGF: Du bist seit Oktober 2001 – seit zwanzig Jahren – Referent für Friedensarbeit! Wie kommt ein studierter Geograf zur AGF?

Ich habe mich schon früh für Politik interessiert, schrieb für Schülerzeitungen zu Friedens- und Umweltthemen. In meiner Schulzeit begann ich mich im Friedenskreis Nürtingen zu engagieren: Schweigekreis, Groß-Demo Bonn, Menschenkette 1983 und ein erfolgreicher Bürgerentscheid gegen Atomschutzbunker 1986 sind wichtige Stationen. Bei meinem Zivildienst in einem selbstverwalteten Projekt in ST. Ingbert engegierte ich mich nach den rassistischen Anschlägen in Rostock- Lichtenhagen oder in Solingen im Bündnis gegen Ausländerfeindlichkeit und gegen den Jugoslawienkrieg. Während meines Studiums im Saarland beriet ich Kriegsdienst-verweigerer bei der DFG-VK – es war der Golfkrieg 1990/91-, ich hielt als streikender Zivildienstleistender meine erste Rede bei einer Friedenskundgebung. Mit dem AStA-Ökoprojekt führten wir fairgehandelten Kaffee in der Saarbrücker Mensa ein und ich setzte mich 1997 das erste mal vor einen CASTOR. Ich finde gute Voraussetzungen für die AGF, dazu das Studium der Geographie in Saarbrücken, Québec und Metz, das mich vernetzt und global zu denken lehrte. Mein erste Stelle im Tübinger Büro für ökologische Studien war befristet, die Stelle in Trier passte also.

AGF Wie hat sich die Friedensbewegung (in Trier) in diesen zwanzig Jahren verändert… und was war die Rolle der AGF dabei?

Die Friedensbewegung ist gealtert und geschrumpft, Jüngere und Studierende fanden immer seltener zu uns. Vormals überzeugte Kriegsgegner*innen tolerierten oder unterstützen Auslandseinsätze der Bundeswehr, Friedensbewegte bei Grünen und SPD wurden zur Minderheit, die Salamitaktik der zunehmenden Militarisierung funktionierte, das Friedensthema hatte es schwer. Viele die neu bei der AGF mitmachten, blieben nur begrenzt für ein Projekt oder Thema wie TTIP, Straßentheater oder Airbaseerweiterung – nur wenige wurden dabei Teil der Friedensbewegung.

Gleichzeitig gab es eine Professionalisierung der Bewegung und des Vereins, mehr Bildungsarbeit und weniger Protest sowie zusätzliche Aufgaben für uns Hauptamtliche. Die AGF blieb dabei immer ein wichtiger Anker und Ort für Friedensengagement, für alle die sich treffen und organisieren wollen. Trotz manchem Frust durch die verheerende Politik und mangelnden Zuspruch, laufen einige AGF-Projekte sehr gut – so die Rundgänge gegen das Vergessen mit rund 30 Führungen im Jahr, der Aufbau des Zivilcourage-Netzwerks seit 2010 oder der Weltladen der sich trotz Krise des Einzelhandels weiterentwickelt und Bestand hat. Auch das 2000 gegründete FUZ hat sich als die Anlaufstelle für Umwelt und Frieden in Trier weiter etabliert, so treffen sich hier auch neue Gruppen wie Friday for Future.

AGF: Was war in dieser Zeit der größte Erfolg der AGF? Was die größte Niederlage?

Vieles wofür wir uns engagieren bleibt eine Vision, der wir uns manchmal annähern, manchmal weiter von entfernen. So gibt es eine verstärkte Auf- statt Abrüstung, mehr Antisemitismus, eine Neue Rechte und weiterhin Kriege mit deutschen Waffen sowie ein kapitalistisches System dass Armut und Ausbeutung sowie Umweltzerstörung bedingt. Es ist kaum messbar welchen Einfluss wir haben. Aber wie Hölderlin sagte „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“.

Ich sehe viele Erfolge wie die Gründung des Friedens- & Umweltzentrums in Trier Mitte 2000 oder die Blockade der Airbase Spangdahlem 2003 und auch das parallel von der AGF initiierte Netzwerk gegen Militärstandorte und ihre Auswirkungen – das zeigt sich bis heute an der Kritik an der Wasserverseuchung um Spangdahlem. Ein großer Erfolg war die Schließung des Ausreisezentrums für Geflüchtete 2011, wofür wir uns 10 Jahre engagiert hatten. Die Erfolgreich waren auch die Großpuppenaktion zum G8-Gipfel in Trier 20007, die Gründung des Sozialforum und der Jugend-AGF 2008, der Apfel-Mangosaft 2010 und viele Straßentheater­aktionen 2013. Klasse fand ich auch den Gelöbnix-Protest in Mainz 2014, unser Friedensfest gegen den Tag der Bundeswehr in Trier 2016, die Kampagne Krieg beginnt hier und die vielen kraftvollen Demonstrationen gegen Nazi-Aufmärsche und später gegen PEGIDA und Querdenker. Auch positive Rückmeldungen von Angehörigen bei Stolperstein­verlegungen, der Beitritt der ROMIKA zum Zwangsarbeiter-Entschädigungsfonds oder das Bleiberecht für einen Geflüchteten nach Monaten im Kirchenasyl sind Erfolge.

Die große Niederlage der AGF sehe ich nicht, ich habe nie erwartet die Erweiterung der Airbase Spangdahlem zu verhindern, einen Krieg zu beenden oder die Auflösung der AFD zu erreichen. Eine große Niederlage ist trotzdem, dass Friedensstimmen besonders im Bundestag verstummten und viele jetzt für Aufrüstung und Kriege stimmen. Und bitter sind aktuelle Entwicklungen wie die Bewaffnungsoption für Drohnen im Koalitionsvertrag, ebenso wie die immens teuren neue Atombomber für die Bundeswehr und das europäische Rüstungsgroßprojekte FCAS – dabei haben die desaströsen Kriege von Afghanistan bis Jemen fatale Folgen und heizen das Klima an.

AGF: Welche drei Herausforderungen siehst Du für die AGF in den nächsten Jahren und wie willst Du darauf reagieren?

1. Der Klimawandel stellt zur Zeit alles andere in den Schatten, mir fehlen dabei die friedenspolitische Zusammenhänge: der Klimawandel wird durch Kriege um Ressourcen angeheizt, ein Teufelskreis, das Atomkriegsrisiko ist so hoch wie noch nie. Es gilt Sicherheit neu zu denken, Friedenswege aufzuzeigen, durch verstärkte Bildungs- und Lobbyarbeit und unsere eigene Praxis.

2. Die finanzielle Absicherung des Vereins bleibt eine Daueraufgabe. Zum Abbau des strukturellen Defizits gilt es verstärkt um neue Mitglieder und Spenden zu werben, neue Geldgeber zu akquirieren sowie wieder eineN Richter*in für Bußgeldzuweisungen zu gewinnen.

3. Die große Herausforderung ist und bleibt es neue Aktive zu gewinnen – wir wollen uns daher auch mit jüngeren Aktiven zusammensetzen und überlegen was wir tun können, um Engagementmöglichkeiten bekannter und attraktiver zu machen.


AGF: Wenn Du die AGF neu gründen würdest: Wie würde sie aussehen?

Die neue AGF würde vielfältiger sein, damit meine ich mehr People of Color und Menschen mit Fluchterfahrungen und aus anderen Kulturen, die von Anfang an dabei sind, das wäre ein Fortschritt auch um antirassistisches Denken zu verankern. Die Idee bleibt ansonsten aktuell, die neue AGF hätte weiterentwickelte Strukturen und Inhalte. Aber die AGF muss nicht neu gegründet werden, sie ist wandlungsfähig. So gibt es Überlegungen für eine Satzungsänderung, um neben Frieden auch Gewaltprävention und Zivile Konfliktbearbeitung als Ziele zu ergänzen. Das Weltladen-Angebot mit fairgehandelten Produkten könnten wir um friedens­politisch, sozial und ökologisch sinnvolle Produkte erweitern. Die Vereinsstruktur mit Mitgliedern, Arbeitskreisen, Vorstand und Hauptamtlichen hat sich bewährt und das bald 42jährige Bestehen der AGF ermöglicht. Das gleichberechtigte Miteinander in Arbeitskreisen und im Vorstand sollte entsprechend in der Satzung abgebildet werden. Eine erneuerte AGF sollte Hierarchien abbauen und einen gemeinsamen Wissenspool schaffen. Damit wieder mehr Menschen ihre Freizeit in der AGF verbringen wollen, sollte die AGF als sozialer Ort, als freundschaftlicher Treffpunkt für politisch Gleichgesinnte gestärkt werden, dafür sollten wir niedrigschwellige Angebote schaffen.

Vielen Dank und Dir weiter viel Erfolg!

Die Interviewfragen stammen von Ariane Gliesche, Inga Kulms und Thomas Zuche.

Das Interview wurde für den Friedensbrief der AGF Dezember 2021 Ausgabe 3-2021 erstellt

Alle Fotos AG Frieden, außer die s/w-Porträts, die sind von Victor Beusch