16.05.2025 | Arbeitskreise & Projektgruppen

Eine von 82

Hier können Sie unseren Bericht zur Installation „zweiundachtzig“ in Gedenken an die Patientenmorde der Nationalsozialisten nachlesen.

Marianne Schönhofen war ein Trierer Mädchen. Sie wurde im Nachbarhaus des früheren Weltladens der AGF, in der Jüdemerstraße 5, geboren. Lisa Köhl, Studentin der Geschichtswissenschaft an der Universität Trier, hat ihre kurze Lebensgeschichte recherchiert: Als Zweijährige erkrankte Marianne zuerst an Scharlach und dann gleichzeitig an Masern, Lungenentzündung und Keuchhusten. In diesem Alter entwickelte sie zum ersten Mal Krämpfe. Danach soll sie sich nach Aussagen ihrer Mutter auch geistig verändert haben. Sie kam nach Bonn in die Rheinische Provinzialkinderanstalt für seelisch Abnorme, bevor sie mit neun Jahren im St. Vincenzstift in Aulhausen am Rhein aufgenommen wurde. Ihre Diagnose zum Zeitpunkt der Aufnahme lautete „Schwerer Schwachsinn“. Sie scheint ein gutmütiges Mädchen gewesen zu sein. In der Anstalt wusste sie, wer es gut mit ihr meinte und half dabei, ihre Freundin mütterlich zu betreuen. Nicht gut meinte es der Staat mit Marianne. Im Januar 1939 – die Nazis sind seit sechs Jahren an der Macht – wird sie in die Heil- und Pflegeanstalt Andernach verlegt. Direktor ist der ehemalige Schüler des Trierer Max-Planck-Gymnasiums, Dr. med. Johann Recktenwald. Mitte Februar lässt er sie dann nach Hadamar verbringen. Marianne war noch keine 16 Jahre alt, als sie dort, drei Monate vor ihrem Geburtstag, in der Tötungsanstalt ermordet und einen Tag später eingeäschert wird. Ihr Vater beantragte die Beisetzung der Aschenurne seiner Tochter auf dem Hauptfriedhof in Trier, die ihm auch gestattet wurde.

Für Marianne wurde vor Jahren von der AGF und Kulturverein Kürenz ein Stolperstein am Ort der früheren Jüdemerstraße (heute Stresemannstraße, Eingang Sparkasse) verlegt. An ihr kurzes Leben erinnern wir immer wieder bei Rundgängen gegen das Vergessen. Nun ist sie eine von 82 Kindern, Frauen und Männern aus Trier und Umgebung, an die mit einer beeindruckenden Lichtinstallation mit dem Titel „zweiundachtzig“ im Trierer Brunnenhof erinnert wurde. Am 26. März 2025, am 80. Jahrestag der Befreiung Hadamars durch die US-Truppen, gedachten 150 Trierer:innen am Abend den Opfern der Patientenmorde der Nationalsozialisten. Initiiert wurde die Aktion von Matthias Spartz und dem Arbeitskreis „Trier im Nationalsozialismus“ der AGF. Wie schon 2022 bei der Gedenkaktion „ErinnerLicht“ vor der Porta Nigra, knüpfte Spartz ein Netzwerk aus Universität, Hochschule und Sponsoren, um die Trierer Gedenkkultur mit innovativen Formen zu bereichern.

17 Studierende der Universität hatten in einem Hauptseminar unter Leitung von Dr. Lena Haase die Biografien der 82 NS-Opfer recherchiert und an 11 Studierende des Studiengangs Intermedia Design an der Hochschule Trier unter Leitung von Prof. Daniel Gilgen weitergegeben. Diese hatten sich Besonderes einfallen lassen: Weiß markierte Fußspuren führten in den Brunnenhof hinein zu einer Videoinstallation. Die Studierenden hatten in der Trierer Fußgängerzone Passant:innen gebeten, die Namen eines/einer Ermordeten in die Kamera zu sprechen und den Vergessenen so Name und Identität wiederzugeben. Auf einer gegenüberstehenden Leinwand wurde das ergänzt durch ein Zitat der Zeitzeugin Eva Szepesi und Zitaten gegenübergestellt von AfD-Politikern, die ein Ende der Inklusion an deutschen Schulen forderten oder im Bundestag den Anteil von Behinderten an der Migrationsbevölkerung des Landes erfragt hatten. An der gegenüberliegenden Ecke des Brunnenhofs erschienen nach und nach 81 Figuren auf einer Leinwand, je länger man die Hand auf eine Interface-Kontaktplatte auflegte. Im Hof standen außerdem Tafeln, auf denen die Namen der Ermordeten aufgezeichnet waren. Umrahmt wurde das Geschehen von 82 Silhouetten, die aus den erleuchteten Obergeschoss-Arkaden des Brunnenhofs auf die Teilnehmer:innen der Veranstaltung herabschauten (siehe Titelbild des Friedensbriefs). Eine beeindruckende Kulisse für ein würdiges Gedenken, das auch Bezüge zur Gegenwart herstellte.

Das tat auch Thomas Zuche in seiner Begrüßung für die AGF, der in besonderer Weise Matthias Spartz dankte. Das tat auch der Kulturdezernent der Stadt, Markus Nöhl. Nöhl zeigte sich beeindruckt von der künstlerischen Qualität der Gedenkaktion und sah in diesen innovativen Formen die Zukunft der Erinnerungsarbeit. Dr. Lena Haase wies in ihrer kurzen Rede darauf hin, dass wissenschaftlich recherchierte Fakten die Basis für eine Gedenkarbeit seien und in Kooperation mit Akteuren der Zivilgesellschaft in die Öffentlichkeit getragen werden sollten. Die Studierenden Dorian Schweisthal (Hochschule) und Paulina Wulf (Universität) berichteten von ihrer Motivation und ihren Arbeitsergebnissen, ehe Prof. Daniel Gilgen die Anwesenden abschließend zum Schauen und zum Gespräch einlud.

Unter den Gästen waren Vertreter:innen der Universität, der Hochschule, der Stadtratsfraktionen, der Behindertenbeauftragte der Stadt, der Förderer (Stadt, Reh Stiftung, Landesarbeitsgemeinschaft erinnern und gedenken e.V. Rheinland-Pfalz und der Sparkasse Trier) und andere Personen des öffentlichen Lebens. Medial sorgten Berichte des Südwestrundfunks und des „Trierischen Volksfreunds“ neben anderen Presseorganen für weitere Verbreitung.

Der Abend wurde von einem Studierenden-Team der Hochschule Trier dokumentiert und soll auf ihrer Webseite veröffentlicht werden. Noch am selben Abend ging die Webseite https://www.digitales-gedenkbuch.de online. Dort vermitteln Studierende der Universität ihre Rechercheergebnisse in Form von 81 Kurzbiographien. Ein integriertes Kontaktformular gibt den Nutzer:innen die Möglichkeit, eigenes Wissen über die Personen zu teilen. Dort findet sich auch ein Foto und der Eintrag über Marianne Schönhofen.

Eine Besucherin zog das Fazit: „Selten hat mich politisch eine Veranstaltung so berührt wie die Gestrige. Eure Arbeit und die der Studentinnen und Studenten ist gerade in diesen Zeiten eine Kostbarkeit“.