09.11.2021 | Arbeitskreise & Projektgruppen

Droht ein Atomkrieg aus Versehen? Vortragsbericht

Droht ein Atomkrieg aus Versehen? Karl Hans Bläsius hält das zumindest in den nächsten Jahrzehnten für wahrscheinlich. Der pensionierte Professor für Künstliche Intelligenz an der Hochschule Trier untermauert das mit Daten und Fakten, die er einem interessierten Publikum in der Tuchfabrik erläuterte. „Die Angst, in einem Atomkrieg als Zweiter zu sterben, hat mögliche Angreifer vielleicht abgehalten und den großen Krieg bis heute verhindert. Aber das muss nicht so bleiben.“

 

Die wachsende Zahl von Atommächten mit immer komplexeren Frühwarn- und Entscheidungssystemen machten im Verbund mit einer immer instabileren politischen Weltlage kritische Fehlalarme und Fehlentscheidungen wahrscheinlich. Das werde befeuert durch Cyberangriffe, neue Rüstungsvorhaben wie autonome Waffen und den Klimawandel. Hitzewellen und Überflutungen destabilisierten ganze Gesellschaften und lösten Fluchtbewegungen aus. Dies und der Streit um Wasserbauprojekte wie die geplante Umleitung von großen Flüssen in Ostasien verschärften politische Konflikte. In diesem krisenhaften Umfeld sei besonderes Vertrauen zwischen den Atommächten nötig. Dieses Vertrauen fehle aber schon jetzt weitgehend zwischen Russland und den USA und der Volksrepublik China.

Mehr und immer vielfältigere Objekte im Luftraum, kürzere Vorwarnzeiten durch neue Hyperschallwaffen und der Trend, die immense Vielzahl von Sensordaten autonom, d.h. vom Menschen unabhängig, zu bewerten – das führte Bläsius zu der Schlussfolgerung, ein Atomkrieg könne aus Versehen stattfinden. Damit ist er nicht allein. Auch hochrangige Offiziere teilen seine pessimistische Sicht auf die Zukunft unserer Sicherheit. So spricht Generalleutnant a.D. Lahl im Buch „Sicherheitspolitik verstehen“ (Seite 130) vom „Risiko der Unbeherrschbarkeit nuklearer Waffen“. Die Folgen wären für die ganze Menschheit verheerend: Dunkelheit, die Abkühlung der Erdatmosphäre, die Schädigung der Ozonschicht, Ernteausfälle wären schon bei einem „begrenzten“ Atomkrieg, etwa zwischen Indien und Pakistan, zu befürchten.

Im „Kalten Krieg“ sei es dem sowjetischen Offizier Stanislaw Petrow zu verdanken gewesen, dass die Fehlermeldung eines US-amerikanischen Atomschlags nicht zum Atomkrieg geführt habe. So titelte etwa der „Trierische Volksfreund“ am 18.02.2013 über Petrow: „Der Mann, der die Welt vor dem Atomkrieg rettete“. Doch das Atomkriegsrisiko habe sich seit dieser Zeit erheblich verschärft, kommentiert Bläsius.

Am Schluss seines Vortrags, der von der Arbeitsgemeinschaft Frieden mit Unterstützung der Heinrich Böll-Stiftung organisiert worden war, setzte Bläsius auf die Kraft der Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung. Die skizzierten Entwicklungen seien kein Naturgesetz, sondern durch menschliches Handeln aufzuhalten.

 

Referent: Prof. Dr. rer. nat. Karl Hans Bläsius (Hochschule Trier / Informatik)

beschäftigt sich u.a mit Atomkriegsrisiko durch Frühwarnsysteme sowie Cyberangriffe: www.atomkriegausversehen.de

Er ist Mitglied des Forum Informa­ti­ker­Innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) und der AG Frieden Trier.