26.12.2025 | AG Frieden

Rede: Das Stadtbild sind wir alle

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Menschen hier heute,

in diesen Tagen hören wir wieder alte Töne in neuen Anzügen. CDU-Chef Friedrich Merz spricht von „Problemen im Stadtbild“ ‒ und meint damit, so sagt er jetzt, Menschen ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus, die nicht arbeiten und sich nicht an Regeln hielten. Wer das „Stadtbild“ in Frage stellt, stellt auch die Menschen in Frage, die dieses Land längst mitgestalten, prägen und tragen.

Merz sagt: Deutschland brauche Einwanderung ‒ das stimmt. Er sagt: Menschen mit Migrationsgeschichte seien unverzichtbar ‒ das stimmt auch. Aber gleichzeitig schiebt er die Schuld an gesellschaftlichen Problemen wieder einmal denen zu, die am wenigsten Macht haben: Geflüchteten, Migrantinnen, Migranten, Menschen, die nicht ins vermeintliche „Stadtbild“ passen. Das ist keine Lösungspolitik. Das ist Symbolpolitik ‒ auf dem Rücken von Minderheiten. Und das ist gefährlich, weil es genau jene Ressentiments nährt, von denen rechte Bewegungen seit Jahren leben.

Eine aktuelle Umfrage zeigt: Ein Drittel der Menschen in Deutschland sagt, sie fühlten sich durch Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe oder sichtbarer religiöser Kleidung im Stadtbild gestört. Ein Drittel! Wenn du glaubst, dass das rassistisch ist ‒ dann hast du recht.

Wenn du glaubst, das sei es nicht ‒ dann gehörst du zu diesem Drittel. Und genau dieses Drittel hat Friedrich Merz mit seiner Hundepfeife erreicht, als er sagte, es gebe ein „Problem mit Migration im Stadtbild“. Er wusste genau, wen er ansprach: jene, die Menschen nicht als Teil der Gesellschaft sehen, sondern als Störung im Blickfeld. Dann kam das übliche Spiel: erst provozieren, dann zurückrudern, und schließlich die Empörten so hinstellen, als wollten sie die „wirklichen Probleme“ nicht sehen. So funktioniert Polarisierung heute. Die Methode ist immer dieselbe: Rassismus andeuten. Dann relativieren. Und am Ende die Menschen delegitimieren, die auf Rassismus hinweisen. Das ist ein gesellschaftliches Gift. Und es wirkt längst. Während über das Stadtbild gestritten wird, verschiebt sich das Menschenbild.

Merz hat sich nicht entschuldigt. Kein Wort des Bedauerns, kein Eingeständnis. Stattdessen formuliert er seinen Blick auf Migration weiter aus ‒ und dieser Blick ist wirtschaftlich, nicht menschlich. Er unterscheidet zwischen den „guten“ und den „schlechten“ Ausländer*innen. Die Guten ‒ das sind die, die Deutschland braucht: billige Arbeitskräfte, Fachkräfte, Hände und Köpfe, die Lücken füllen. Die Schlechten ‒ das sind alle anderen. Die, die nicht genug wirtschaftlichen Nutzen bringen.
Aber Menschen sind keine Werkzeuge. Wert und Würde eines Menschen hängen nicht davon ab, ob er Profit bringt oder in die Statistik passt. Wer so redet, verrät, wie tief die Entmenschlichung schon in der politischen Mitte angekommen ist.

Wenn Merz sagt, manche Menschen würden „Probleme im Stadtbild“ verursachen, dann meint er, manche Menschen gehören nicht dazu.
Doch das Stadtbild ‒ das sind **wir alle**.
Die Frau mit Kopftuch, die im Krankenhaus arbeitet. Der Typ, der nachts Pizza ausfährt, während andere schlafen. Die Jugendlichen mit bunten Haaren und Migrationsgeschichte, die Beats produzieren, Texte schreiben und unsere Kultur lebendig machen. Die Eltern, die alles tun, damit ihre Kinder eine Zukunft haben ‒ egal woher sie kommen.
**Das Stadtbild sind wir alle.** Und niemand hat das Recht, zu entscheiden, wer dazugehört und wer nicht.

Wir wissen, was passiert, wenn Sprache ausgrenzt. Wenn Menschen zu „den Anderen“ erklärt werden. Wenn Angst wichtiger wird als Menschlichkeit. Antifaschismus bedeutet, genau da nicht wegzuschauen. Es bedeutet, dem Normalwerden von Rassismus zu widersprechen ‒ egal, ob er von ganz rechts kommt oder aus der sogenannten Mitte. Wir sagen: Wir wollen keine Politik, die Angst macht. Wir wollen eine Politik, die gerecht ist. Keine Stadt, die spaltet, sondern eine Stadt, die lebt. Keine Grenzen in unseren Köpfen, sondern offene Herzen in unseren Straßen. Denn das Stadtbild, das ich mir wünsche, ist bunt, laut, solidarisch ‒ und unübersehbar antifaschistisch.

Danke.

Sabine Dengel, Vorstand AG Frieden
Demo „Wir sind das Stadtbild! – Gegen Ausgrenzung und Rassismus“, 26.10.2025, Porta Nigra