„Aufrichtig und einfühlsam miteinander sprechen“
Interview mit Karla Quint, Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation. Thomas Zuche fragt Karla die seit vielen Jahren zusammen mit Christa Buschbaum Trainings in „Gewaltfreier Kommunikation“ (GFK) gibt um was es da geht, was die Kerngedanken dieser Methode oder besser Haltung sind. (Nächster Kurs am 8./9. August in Trier – Infos zur Anmeldung hier)
Liebe Karla, ich erinnere mich noch daran, wie Du damals darauf bestanden hast, dass der kleine Gruppenraum im Friedenszentrum in der Palaststraße in der Farbe lila gestrichen wurde…Du bist also schon „ewig“ in der AGF aktiv! Was hat Dich damals zu uns geführt und warum bist Du noch dabei?
Thommi, mit Deiner Frage gehe ich weit zurück… Nein, für die Farbe im kleinen Gruppenraum in der Palaststraße war ich nicht zuständig, das muss eine andere gewesen sein …. vielleicht meldet sie sich ja beim Lesen dieses Infobriefes…
Was mich zur AGF geführt hat? – Zuerst mal der Einkauf: Ich liebte den Laden in der Jüdemerstraße, wo ich als Schülerin Räucherstäbchen und Tee kaufte und Umweltschutzpapier für alle Gelegenheiten: Schreibblöcke, Briefpapier, Briefumschläge, das war alles „in“ damals. Und natürlich gefiel mir die Idee, durch den Einkauf zu mehr Gerechtigkeit beitragen zu können. Klar ging ich dann auch mit der Jutetasche in die Schule. „Jute statt Plastik“ oder „Südafrikas Zukunft ist schwarz“ waren die Aufdrucke – sie haben eigentlich nichts an Aktualität eingebüßt…
Dann war ich im AK SERPAJ – „Servicio paz y justicia“ mit mehreren KommilitonInnen aus dem Fachbereich der Kath. Theologie wie Monika Bossung, Bruno Sonnen und Stefan Weinert und meiner Freundin Maike von Appen, die Pädagogik studierte…. Mit Gertrud Schwarzenbarth haben wir Spanisch gelernt und meine ersten Computererfahrungen für das Schreiben von urgent actions verdanke ich der AGF!!! Im AK waren wir vorwiegend mit Öffentlichkeitsarbeit gegen Menschenrechtsverletzungen in der chilenischen Diktatur beschäftigt.
Gerechtigkeit ist etwas, das mich von klein auf beschäftigt hat. Eine Wurzel davon ist sicherlich die, dass meine Mutter als Flüchtling im 2. Weltkrieg es später schwer hatte, in unserem Dorf Fuß zu fassen, trotz der Heirat mit meinem Vater, einem seit Generationen Einheimischen. Die diskriminierenden Sticheleien außerhalb und innerhalb der Familie waren schwer zu ertragen. Sogar in meiner Generation war es aufgrund meines „Hochdeutsch“ nicht ganz einfach mit der Zugehörigkeit.
Eines der ersten Büchlein, die ich im Weltladen kaufte war die Rede des Häuptlings Seattle. Die sprach und spricht mir auch heute noch aus dem Herzen. Als ich dann Marshall Rosenberg viele Jahre später sagen hörte: „Mein Bedürfnis nach Essen wird so lange nicht gestillt sein, bis keiner mehr an Hunger stirbt“ wusste ich: da bin ich daheim.
Du gibst seit vielen Jahren zusammen mit Christa Buschbaum Trainings in „Gewaltfreier Kommunikation“ (GFK). Wie viele Seminare hast Du denn schon in der AGF gemacht?
Ich glaube, wir kommen seit 2007 in die AGF und in jedem Jahr geben wir 4 Wochenendseminare – dann sind es so an die 50.
„Gewaltfreie“ Kommunikation, das passt sehr gut zur AGF. Dr. Marshall Rosenberg entwickelte diese Methode und sagte darüber: „Worte können Fenster sein – oder Mauern“. Kannst Du sagen, was die Kerngedanken der GFK sind? Das zeigt sich ja schon bei den Titeln der Seminare.
GFK ist im Kern eine empathische Lebenseinstellung. Sie ist praktische Gewaltfreiheit für gesellschaftlichen Wandel und die Methode ist ein Weg, wie wir dem näher kommen können.
In der Haltung der Gewaltfreien Kommunikation geht es in erster Linie um Verbindung, zählen die Bedürfnisse aller, ist es möglich von Herzen zu geben und zu nehmen -ohne Zwang und ohne Bestrafung- und zwar auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Uns in Machtverhältnissen unter- oder überzuordnen, das lässt uns – symbolisch gesehen – die Fenster zumachen, da laufen wir gegen Mauern oder kämpfen dagegen an.
Wenn ich mich -egal mit wem- auf Augenhöhe begebe, sage wie es mir geht, und was ich brauche, und das gleiche von meinem Gegenüber mitbekomme, finden uns Lösungen, an die wir zuvor noch nicht einmal gedacht hätten. So sagte Marshall und so erleben wir das auch.
Das klingt jetzt einfach, doch es braucht jeweils „Übersetzungsarbeit“. Das bedeutet wenn wir in Begriffen von Vorwürfen, Bewertungen oder Kritik denken und sprechen (was wir im Allgemeinen tun, weil wir das in unserer Kultur so lernen) versuchen wir die hinter den Worten liegenden Gefühle und Bedürfnisse zu verstehen. Dadurch kommen wir erst auf die Ebene, die die Fenster aufgehen lässt. Das ist die Ebene der Bedürfnisse. Bedürfnisse sind universell und bei allen Menschen gleich. Wenn wir mit den Bedürfnissen verbunden sind, verstehen wir uns. Es entsteht Empathie. Bedürfnisse sind in ihrer Erfüllung nicht an spezielle Handlungen oder Personen gebunden und so es gibt verschiedenste Wege, sie zu nähren. Das eröffnet einen kreativen Raum für neues Denken und Handeln.
In unseren Seminaren üben die Teilnehmenden das an Beispielen aus ihrem Alltag.
Respektvoll miteinander reden ist heute ein großes Thema. Wenn es um Themen wie Flüchtlingspolitik oder die Klimakrise geht, ist ein Gespräch in der Familie, zwischen Freund:innen oder am Arbeitsplatz oft kaum mehr möglich. Das sind „vergiftete“ und vergiftende Themen. Kann GFK helfen, gute Wege des miteinander Kommunizierens zu finden?
Natürlich geraten wir in nahen Beziehungen und bei politischen Auseinander-setzungen schnell in Streit, weil wir unsere jeweiligen Positionen oder Strategien verteidigen. Da sind z.T. alte Verletzungen, die wieder aufbrechen oder wir sehen unsere Vision von einem guten Leben in Gefahr.
In solchen Konflikten geht es darum, wer Recht hat und der gegenseitige Respekt ist nicht mehr im Blick. Wenn mir die Verbindung wichtig ist, ist es ratsam, nicht auf die Worte zu hören, die mich stören, ärgern oder verletzen könnten. Ich lenke meine Aufmerksamkeit darauf, wie sich mein Gegenüber fühlen mag und was sie brauchen könnte und frage sie danach. Wenn ich mich auf dieser Ebene mit der Person verbinde (manchmal auch nur im Stillen), verschwindet mein Feindbild und ich kann sie als Mensch sehen. Wenn ich dann noch weiter zuhöre, bis mein Gegenüber sich wirklich verstanden fühlt – was nicht bedeuten muss, dass ich ihren Ausführungen zustimme – ist ein großer Schritt gelungen. Wenn ich dann selbst meine Gefühle und Bedürfnisse mitteilen kann und gehört werde, besteht eine große Wahrscheinlichkeit gemeinsam Strategien zu finden, die für beide passen.
Das ist eine hohe Kunst. Sie fördert die Ausdauer, konträre Meinungen zu ertragen, Gesagtes nicht persönlich zu nehmen und alles in Bedürfnisse zu übersetzen. Ich lerne die Fähigkeit, mir in diesen Situationen selbst Zuspruch zu geben und das Vertrauen in den Prozess nicht zu verlieren. Nicht zuletzt lerne ich den Mut, mich verletzlich zu zeigen und ein hohes Maß an Selbstempathie.
Ja ich finde die GFK gibt in Bezug auf Kommunikation und Lebenseinstellung eine sehr gute Hilfe – die beste die ich bisher gefunden habe!
Wichtig bei all dem ist, dass ich aus freiem Willen im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation handele. Ich tue das, weil ich es möchte und einen Sinn drin sehe, nicht weil ich es tun muss. GFK ist keine neue Ideologie! Manchmal braucht es Schutz und ein klares Nein.
Was sind Deine Pläne? Wird es wieder Seminare zur GFK im Friedens- und Umweltzentrum geben?
Ja klar, solange Ihr uns wollt ;-))) Wir lieben die AGF und tragen sehr gerne zum breit gefächerten bunten Programm bei. An dieser Stelle ein großes Danke von Herzen an Markus, der die Öffentlichkeitsarbeit für die Seminare macht und manchmal sogar den Raum vorbereitet. Und vor allem für unsere kostbare Verbindung über die Jahre.
Das nächste Basisseminar ist am 8./9. August.
Ich danke Dir sehr für Deinen Einsatz für mehr Respekt und Achtsamkeit in der AGF! Alles Gute, liebe Karla!
Das Interview führte Thomas Zuche
* Zur Vertiefung dieser Kerngedanken der GFK empfehle ich Interessierten drei Bändchen von Marshall Rosenberg als Lektüre:
- Marshall B. Rosenberg: Das Herz gesellschaftlicher Veränderung, Junfermann 2004
- Marshall B. Rosenberg: Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation. Ein Gespräch mit Gabriele Seils, Herder Spektrum 2004 – auch als Hörbuch erhältlich
- -Marshall B. Rosenberg: Lebendige Spiritualität. Grundgedanken über die spirituellen Grundlagen der GFK, Junfermann 2005